… und über die Szene legt sich ein hauchdünner Film; eine Membran; sie kann atmen, wir sehen, was wir sehen, alle Informationen liegen blank wie meine Nerven, denn das macht ein nervöses Gemüt aus, zu viele Nerven, zu viel Fühlen, auf allen Seiten schutzlos ausgeliefert sein wie ein Hamster auf einer Autobahn kurz davor, zu einem schleimigen Brei zerfahren zu werden. Manchmal träume ich davon, in die Membran zu schreien, meine Familie auf der anderen Seite, wie sie nichts interessiert und kümmert, wie sie einfach vor sich hinlebt und auf alten Zeitungen ausgebreiteten getrockneten Fisch isst. Ich träume davon, durch den Film zu steigen und ihn zu küssen, Skimmer, den sexy Idioten, dem ich genau hier in der Toilettenkabine vor sechs Monaten einen blies, bis ich auf seinen Schwanz kotzte.
… und ich höre Leben außerhalb der Kabine, Gespräche und Lachen; die Anderen haben Spaß und sie wissen nicht einmal, dass ich hier sitze und weine, sie wissen nicht, dass ich alleine bin; sie wissen gar nichts und die Grenze zwischen diesem und jenem Objekt wird unklar in dem schummrigen orangen Licht der Kabine; es entsteht etwas, das wir Wüste nennen, genau hier zwischen ihnen und mir, zwischen meiner Wahrnehmung und der Tür, da legt sich der Film zwischen mich und die Welt, die langsam abfließt in das Loch, das sich nach der vierten Line K auftut.
… und das Latex über meinem Körper ist zu eng geworden; der Körper verändert sich und lässt sich nicht zur idealen Grenze formen; egal, wie schön es glänzt und schimmert, den perfekt verpackten Körper gibt es nicht, es sei denn er wäre tot, dann könnte man ihn luftdicht verschließen und für alle Ewigkeit in seinen absoluten Konturen präservieren. So wie eine geöffnete Plastikverpackung, schlaff und faltig, hässlich wird; ein Produkt in seiner Verpackung hat etwas Verheißungsvolles und Mysteriöses; an dieser Oberfläche hangeln wir uns von Tag zu Tag entlang, wir öffnen und öffnen; erst ist es rein und sauber, dann ist es dreckig und zerknüllt; Plastiknägel auf Plastikverpackung, ein verheißungsvolles Klackern, eine Schwebe, die Grenze zwischen verschlossen und verbraucht; die Folie verspricht immer mehr als der eigentlich Inhalt, so wie der Blick eines Menschen mehr verspricht als seine Augäpfel, sein Sehnerv und visueller Cortex.
… und öffnete ich leicht den Reißverschluss an meinem Schritt, würde ein Strahl Schweiß hervorspritzen, als würde ich pissen; so viel Wasser sammelt sich unter dem hautengen Verschluss an, fast schon bläht man auf zu einem Wasserballon, der durch die Landschaft rollt wie ein Cartoon Blimp, einem soften Ball aus Pisse und Latex.
… und Skimmer schwimmt auf der anderen Seite der Oberfläche des Films und hält die Arme zu einem Gebet gekreuzt; wofür er betet, frage ich ihn, während die Anderen schreien und lachen und zu Technowummern in den anderen Kabinen ficken; er antwortet mir nicht und sieht aus wie eine Leiche, sein Gesicht bleich, sein schwarzes Haar gelockt, er hat wunderschön lange Wimpern. Er antwortet nie, aber ich schreibe ihm trotzdem; er lässt mich auf read; je mehr er mich ignoriert, desto mehr bin ich in ihn verliebt; ich wünschte, ich wäre auf der anderen Seite des Films; ich sehe die andere Seite durch das wabernde Material; manchmal denke ich, es seien nur Bilder, Aufnahmen auf dem semi-transparenten Film; aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Aufnahmen von der Wirklichkeit unterscheiden, mein Phone und die Welt, Verpackung und Müll auseinanderhalten kann, aber nichts hat mehr Gewicht, genauso wenig wie mein Körper, ein Geist, schwerelos, fast schwebt er über dem Toilettensitz.
… und manchmal, so scheint es mir, gelingt es, ein wenig durch den Film zu clippen; vielleicht ein paar Millimeter meines Körpers auf die andere Seite zu bringen; manchmal ist es besser, eine gute Idee zu verstecken und nie jemandem zu zeigen, auch wenn ich Skimmer gerne alles zeigen würde, wenn ich ihn doch nur anfassen, mit ihm reden könnte, ich wäre dann ganz außerhalb der Kabine, auf dem Dancefloor und im Darkroom und eins mit mir und den Schwänzen, die ich lutsche und auf die ich erbreche, und nichts trennt mich von der Welt, nicht der karge Abgrund des K-Holes, und nicht die Einsamkeit eines kalten Universums. Put all the images in language in a place of safety and make use of them, for they are in the desert, and it’s in the desert we must go and look for them (Jean Genet).
… und ich kann Bäume sehen; alles wächst hier seitwärts und die Welt ist schief. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können (Franz Kafka). Und doch – die Wurzeln ragen hinüber auf die andere Seite, wo sie aber nicht länger existieren. Dort, wo sie existieren, tun sie es nicht, und wo sie nicht existieren, tun sie es doch und so weiter.
… und die Anderen haben Spaß draußen, während ich hier in meinem Latex schwitze. Warum habe ich mich überhaupt hineingezwängt, wenn ich damit keinen Spaß habe, wenn es sowieso zu viel Arbeit ist? Nur um zu glänzen? Ich ziehe eine weitere Line, die ich auf meinem Phone zu Pulver zerhacke; dass das Zeug mich paranoid macht, dass ich dissoziiere und mein Blick ganz glasig wird, sagte Skimmer zu mir in der Toilettenkabine vor sechs Monaten, dass ich keinen sinnvollen Satz mehr hervorbringe und deswegen niemand mit mir abhängen möchte, weil Ketamin schnüffeln keine Community bilden kann, und Kokain und 2C-B kein Ersatz für echtes Glück ist, und ich rutschte von seinem Schenkel und fiel auf den vollgepissten Boden.
… und ich werde alle Sprache verstecken. Ich werde nicht mehr mit Skimmer reden, den ich eigentlich hasse. Ihn und seinen dummen Schnurrbart. Warum sollte ich auch so viel Zeit in jemanden investieren, der sich gar nicht um mich schert. Es ist eine Wüste, die sich vor einem eröffnet, ein einsamer Tod, und ich irre in kaltem Schweiß umher und wünsche mir, Skimmers Gesicht luftdicht in Latex zu verschließen.
… und ich werde wieder hinaustreten aus der Kabine, sobald ich mich etwas gefasst habe nach einer weiteren Nase. Ich sehe eine blaue Sonne an einem gelben Himmel, an einer Klippe stehend, hinaufblickend, und das Meer ganz in blauem Acryl mit tief-schwarzen Schlieren von ausgelaufenem Öl; ich zweifle an allem, was je gewesen ist, und was noch kommen mag, dass alles genau so passiert ist, wie es nun mal passiert ist, und nicht anders. Das blaue Licht ist nicht warm, es ist kalt; wenn Gebäude in der Ferne zu erkennen wären, sie wären verbrannt und zerfielen zu Asche, weggetragen vom Wind; ich schreie und höre den Widerhall meiner Stimme von den Klippen, den Wurzeln, die seitwärts aus ihnen herauswachsen, und von der havarierten Ölplattform im Wasser zurückschnellen, und ich schreie immer wieder zurück, sobald meine eigene Stimme mich erneut erreicht, wie wenig man sich entkommen kann, wie fürchterlich es ist, immer man selbst zu sein, als lineares Wesen, von Anfang bis Ende, eine Line, und dass man sich so oft es geht wegballern muss, das Hirn ausschalten, den Zeitstrahl zerhacken wie das Ketamin, mit jeder Droge, die man in die Finger bekommt; nicht weit von der Küste sehe ich ein Loch im Wasser, einen Abfluss, der das Öl vom Wasser abträgt, den dünnen Film auf der gespannten Oberfläche, der alles Leben hier töten kann und das Sonnenlicht verschluckt, diese und jene Welt trennt, wie alles dort einfach in dem Loch versinkt. Ich stelle mir vor, wie ich mit dem Latex in das Öl steige, in ihm verschwinde, Schwarz in Schwarz, wie ein Urzeit-Tier in einem Asphaltsee. Ich weiß nicht, ob ich ertrinke oder schon längst tot bin.