Das Bild, um das es hier geht, hat einen Rahmen. Es ist ein ausladender, massiver Rahmen, der zunächst von der Betrachtung des Bildes ablenkt. Seine Materialität drängt sich auf, spielt sich in den Vordergrund. Der Rahmen rahmt vor allem sich selbst. Gefertigt ist er aus Holz oder zumindest aus einem Material, das Holz imitieren soll. Älteres, nachgedunkeltes Kirschholz könnte das sein. Es weist eine gleichmäßige Maserung mit stellenweise auftretenden Flammenmustern auf und hat einen satten, möglicherweise durch großzügig aufgetragenen Lack verstärkten Glanz. Ist der Rahmen erst einmal überwunden, fällt der Blick auf monotones Grün. Wobei: Graugrün ist das eher. Man könnte das Gebilde für einen Nadelwald halten, dessen Wipfel in eine Formation von Cumulus-Wolken ragen. Es wird allerdings schnell klar, dass das kein Wald ist, sondern eine Kiefernmonokultur. Dünne Baumstämme in Reih und Glied. Und darüber eben die Wolken, die aber genauso gut von den Einschlägen einer Flächenbombardierung stammen könnten. Je länger der Blick auf dem Bild ruht, umso stärker drängt sich dieser Eindruck auf. Mit jeder Sekunde, die vergeht, wirken die Wolken dunkler. Eben waren sie noch weiß, dann liefen sie gräulich an, jetzt sind sie eher schwarz als irgendetwas anderes. Nähert man sich der ersten Baumreihe, erkennt man im matschigen Boden davor ein Muster, das ein LKW oder ein Raupenfahrzeug hinterlassen haben könnte. Neigt man den Kopf schräg nach rechts, macht man am linken Bildrand, praktisch hinter dem Rahmen tatsächlich etwas aus, was der hintere Teil eines Holzvollernters sein könnte, vielleicht auch eines Bulldozers oder eines Panzers. Möglicherweise bildet man sich das aber nur ein, weil man sich dafür entschieden hat, dass das Profil im Matsch das Profil eines Raupenfahrzeugs sein muss. Sosehr man sich bemüht, hinter den Rahmen zu schauen: Wirklich erkennbar ist nichts. Auch der Matsch ist bei genauerem Hinschauen gar nicht so frisch, wie er auf Anhieb wirkte. Es ist eine ausgetrocknete Masse; strenggenommen also gar kein Matsch. Die Abdrücke darin wirken kraftvoll und dynamisch. Matschwellen und Dreckspritzer konterkarieren die Regelmäßigkeit des Profils. Da der Boden offensichtlich sehr schnell ausgetrocknet ist, hat er auf eigentümliche Weise einen Eindruck von Feuchtigkeit konserviert. Die Spuren wirken vital; mit etwas Phantasie könnte man von einer Schrift sprechen. Aber es ist eine tumbe Schrift. Trotz ihres Schwungs fehlt es ihr an Abwechslung; am Ende dominiert das Profilmuster über die Kapriolen, die der Matsch versprach. Eloquenter sind dagegen die Hinterlassenschaften auf der Rinde einer Kiefer knapp links von der Mitte der zweiten Reihe. An den Mustern, die ins Holz der Kiefer gezeichnet wurden, erkennt das geschulte Auge die Hieroglyphen des Sechszähnigen Kiefernborkenkäfers: sternförmige Muttergänge, die das Weibchen für den Nachwuchs in die Rinde gefressen hat, von denen rechtwinklig die Gänge abzweigen, welche die Larven nach dem Schlüpfen gefräst haben und das Brutbild zu einer vielgliedrigen Radierung vervollständigen. Am Fuß der Kiefer hat das ausgeworfene Bohrmehl den Boden erhellt. Und auch der Nachbarbaum ist befallen; auch hier ist der Boden mit Bohrmehl bestäubt. Blickt man am Stamm hinauf, sieht man Harz, das aus der Rinde läuft, Harz, mit dem sich die Kiefer vergeblich gegen den Befall wehrt. Man könnte das Ganze für einen Kommunikationsversuch halten; für den Versuch der Kiefer, etwas über den eigenen Zustand mitzuteilen. Dafür bräuchte es allerdings jemanden, der in der Lage wäre, die Zeichen zu entziffern. Etwa einen Förster, der die Male des Borkenkäfers nicht als Korrosionserscheinung, sondern als Hilferuf interpretierte. In der Kiefernmonokultur gibt es allerdings keinen Förster. Es gibt hier auch keine kommunizierenden Bäume, sondern nur Rohstoffe. Und Zahlen. Einzelne Kiefern weisen entrindete Stellen auf, auf die mit schwarzer Farbe Zahlen gesprüht wurden. Es ist unklar, ob alle Bäume mit einer Zahl versehen sind, dafür müsste man hinter die Bäume schauen können. Auf Anhieb ist keine Reihenfolge, keine Logik zu erkennen. Die Zahlen sind zudem auf unterschiedlichen Höhen angebracht und unterschiedlich groß. Alles in allem wirkt es eher wie ein Witz, den sich ein Irrer oder ein Künstler erlaubt hat, denn als Methode aus dem professionellen Forstmanagement. Überhaupt fragt man sich als Forstwirtschaftslaie, wozu die Kennzeichnung einzelner Bäume gut sein soll, wo doch am Ende flächenmäßig gerodet wird. Hektarweise. In der Monokultur spielt der einzelne Baum schließlich gar keine Rolle. Er nimmt einen Platz innerhalb einer Fläche ein, die irgendwann abgeholzt wird. Es ist vorstellbar, dass dieses Bild von einer solchen bereits gerodeten Fläche aus geschossen wurde, aber das ist Spekulation. Genauso wie der Gedanke, dass diese Kieferngruppe eine letzte Insel inmitten eines ausgebrannten Streifens Land sein könnte. Auch das ist denkbar. Gerade als man den Blick schon abwenden und die stereoskopische Brille ablegen möchte, weil sie auf der Nase drückt und überhaupt, weil man genug gesehen zu haben meint, verfängt sich das Auge an einem Ast. Etwas Rotes drängt sich auf. Ein Fetzen Kunststoff, der da hängt. Wobei. Kunststoff lässt sich nicht einfach so zerfetzen, schon gar nicht diese Art von Kunststoff (man sieht schon von Weitem, dass das kein Fetzen einer Einkaufstüte ist). Es hat demnach eine Kraft auf den Kunststoff eingewirkt und ihm seine Form und Funktion genommen. Schaut man sich den Kunststofffetzen aus nächster Nähe an, wird man auch nicht schlauer, er ist einfach zu kaputt. Damit fügt sich der Fetzen beinahe schon harmonisch ins Bildganze ein. Auffallend ist außerdem die Oberflächenstruktur: Der Kunststoff ist genoppt. Die Noppen lassen an zahlreiche Anwendungen denken: spielerische (Bausteine, Klötze), erotische (Kondom, Dildo) oder auch aus dem Bereich des Angelsports (Twister, Gummifische und ähnliche Köder, die einen Beutefisch nachahmen). Die Noppen verweisen jedenfalls auf einen industriellen Produktionsvorgang. Sie doppeln damit die Spur des Raupenfahrzeugs und erzählen ein symmetrisches Gleichnis aus der Kiefernwelt. Als Noppen stehen sie zugleich aber auch in einem Reibungsverhältnis zu ihrer Umwelt. Dieser Eindruck vertieft sich, wenn ein weiteres Merkmal in Betracht gezogen wird: die Hängung des Kunststofffetzens. Man kann nicht ausschließen, dass jemand den Fetzen absichtlich aufgehängt hat. Weil er ihm Bedeutung geben, weil er ihn als Mahnmal für die selbstvernichtenden menschlichen Systeme, für ihre täuschende Harmlosigkeit, für ihren Raubfischcharakter in Szene setzen wollte. Vor allem die Noppen stellen einen Zusammenhang zwischen dem Kunststoffstück, der kindlich-blinden Bauwut, dem Selbstzerstörungstrieb menschlicher Makrosysteme (bestand nicht immer schon das größte Vergnügen am Legogebäude in seiner vorsätzlichen Zertrümmerung?) und der Kiefernmonokultur her. Ein subtiles Land Art-Projekt könnte das sein. Wahrscheinlich aber ist der Plastikfetzen nur zufällig dort gelandet; vom Holzvollernter aufgewirbelt, hängt er jetzt einfach da rum. Klebt am Harz, das aus der Rinde getreten ist. Fällt irgendwann zu Boden. Wahrscheinlich überdauert er Rodungen, Dürren, Brände und Bombardements. Seine verstümmelten Noppen wölben sich beinahe zärtlich über das Kiefernholz und erzeugen noch nach dem Absetzen der Brille ein Nachbild auf der Iris, einen reibenden Phantomschmerz, der auch weiter besteht, nachdem man die Augen drei, vier Mal fest zugekniffen hat. Ohne die Brille verliert das Bild seine Tiefe. Alles verflacht. In der Zweidimensionalität werden dafür andere Dinge besser erkennbar. Am Rahmen, der jetzt viel unaufdringlicher wirkt, lässt sich rechts unten eine Inschrift erkennen, ins Holz eingekerbt, fast unsichtbar, dafür sehr einfach zu entziffern. In zierlicher Antiqua ist dort zu lesen: Eternity.