Toxische Müllhalden & Kreativer Überschuss

Es ist ein Gemeinplatz, dass sich am Horizont aller Konsumwelten eine gigantische Müllhalde türmt, dass die stets neueste Ware zwanghaft in den Abfall drängt. Mafia-Giftmüll, als Gebrauchtwaren getarnter Elektroschrott, karnevalesker Konsumtourismus, digitale Massen wertlos gewordener NFT-Kunst sind nur einige ihrer unzähligen Ausprägungen. So notwendig wucherndem Konsum und der Verschwendung vitaler Ressourcen Einhalt geboten werden muss, so sehr scheint unablässiges Produzieren eine anthropologische Konstante, Exzess und Unmaß der Treibstoff aller Kreativität zu sein. Eine lange Tradition literarischen und künstlerischen Sammelns und Notierens findet ihr Material und ihren Ausdruck wiederum im Abfall und Verworfenen. Die Lumpen, der Müll – das von der Welt und Gesellschaft als unwert Begriffene – stellt seit jeher ein kritisches, spezifisch literarisches Potenzial dar. Der Lumpensammler ist Anwalt und Archivar, aber auch der Erschreiber einer Zukunft, die gegen herrschende Normen und Formen ein freies Spiel des Denkens und Schaffens ermöglicht.

Während das Internet zur geistigen Müllhalde, zur entleerten Collage eines ewig Gleichen zu werden droht, machen sich allesfressende KIs daran, gigantische Satzmengen und Theoriephrasen zu rekombinieren. Recycelte Sprache bildet stammelnde und stotternde Collagen. Welche Hermeneutiken aber sichern angesichts von Fake News, künstlichen Semiosen und leeren Signifikaten auch in Zukunft ein widerständiges Verstehen? Wie umgehen mit der im Namen der Kunst verbrannten Energie, den Roh- und Schadstoffen ihrer Träger? Wohin mit all den vom Kunstmarkt überproduzierten Werken, dem eitlen Tand vergangener Moden? Kann das Verbrauchte und Ausgeschiedene überhaupt Ort utopischen Denkens sein? Können die im Wertlosen liegenden Reste Zugang zu dem verschaffen, was gegenwärtig noch außerhalb der Wahrheit steht? Was könnte geistiges Upcycling in Zeiten von Daten-Müll und sprachlicher Erschöpfung bedeuten? Können kreativer Überschuss und radikale Verausgabung das Denken völlig anderer Ökonomien und Ökologien befruchten oder ist kritische Schöpfung heute inhärent unproduktiv?